Pay Day // Hans Theessink & Big Daddy Wilson
Veröffentlichungstermin: 03.12.2021
„The Blues are a mystery“ erzählte mir B.B. King in einem unserer Interviews. Willie Dixon wiederum hielt fest: „The Blues are the true facts of life“. Ein Widerspruch? Nur scheinbar. Blues ist beides. Manche halten den Blues für mittlerweile museal. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Wenn Hans Theessink und Big Daddy Wilson Blind Willie Johnsons Klassiker „Everybody Ought To Treat A Stranger Right“ anstimmen, ist dies an Aktualität wohl kaum zu überbieten. 1930 geschrieben hat der Song 2021 nichts an Relevanz verloren. Und auch Mississippi John Hurts „Pay Day“ könnte als Fingerzeig für unsere Gesellschaft verstanden werden, denn irgendwann zahlt schließlich jede(r). Katastrophen wiederum spielten in der amerikanischen Rootsmusik, vor allem im Folk und Blues, ebenso immer schon eine bedeutende Rolle, man denke etwa an die große Flut des Mississippi im Jahre 1927. In dieser, in die Gegenwart übertragenen, Tradition versteht sich wohl auch Hans Theessinks Covid Song „Virus Blues“, ein eindringlicher Aufruf zum Zusammenhalt, zumal „it makes no difference, if you’re rich or poor, if you’re yellow, black or white“.
Theessink und Wilson haben den Blues völlig unterschiedlich entdeckt. Auf der einen Seite der holländische Junge, der fasziniert im Radio Big Bill Broonzy lauschte und seitdem die Liebe zur Rootsmusik nie mehr verlor. Auf der anderen Seite ein in Deutschland stationierter US Soldat, welcher aus dem Mutterland des Blues stammt, aber die Musik seiner Vorfahren erst als „a stranger long way from home“ kennenlernte. Theessink ist seit Jahrzehnten Wahlwiener, Wilson hat konsequenterweise seine Zelte in Deutschland aufgeschlagen. Im internationalen Bluescircuit hat sich jeder auf seine eigene Art und Weise einen klingenden Namen erarbeitet. Als Musiker, als Songwriter, als charismatischer Entertainer. Theessink und Wilson besitzen ein spezielles, natürliches Charisma, das zusätzlich zu ihrer Einzigartigkeit beiträgt und sie zu den gefragtesten Künstlern der Szene macht. Immer wieder lief man sich daher bei Festivals über den Weg. Die Seelenverwandtschaft wurde rasch offenbar, der Grundstein für die nun vorliegende Platte. Dass Hans Theessink an den Saiten als einfühlsamer Virtuose seinesgleichen sucht, ist längst bekannt. Was „PAY DAY“ darüber hinaus aber zu einem grandiosen Album werden lässt, ist das stimmliche Zusammenspiel der Vokalisten Theessink und Wilson. In der Rootsmusik ist viel vom Schicksal die Rede. „PAY DAY“ belegt dies. Das Schicksal konnte es nicht zulassen, Theessink und Wilson aneinander vorbeigehen zu lassen. Ihre stimmlichen Zwiegespräche – egal ob Blues, Roots, Singer/Songwriter oder Gospel verschmelzen miteinander, als wären sie nie für etwas anderes geschaffen worden. „A mystery“, würde B.B. King sagen. Prof. Dietmar Hoscher